Ein neuer Forschungspavillon der Universität Stuttgart setzt erstmals industrielle Nähtechniken für Holzkonstruktionen in architektonischem Maßstab ein.
Die Konstruktion zeigt, wie die Wechselwirkungen zwischen Material, Form, Raum, Tragwerk und robotergesteuerter Fertigung zu innovativen Holzbauweisen führen kann. Foto: © ICD/ITKE University of Stuttgart
Der Pavillon setzt die Reihe von Versuchsbauten an der Universität Stuttgart fort, die neue Möglichkeiten computerbasierter Entwurfs-, Simulations- und Herstellungstechniken in der Architektur demonstrieren. Der aktuelle Entwurf vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) und vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) beruht auf der Analyse der Konstruktionsmorphologie des Sanddollars, einer Unterart der Seeigel. Auf Grundlage dieser bionischen Erkenntnisse sowie der charakteristischen Materialeigenschaften von Holz wurde ein Konstruktionssystem entwickelt, das als zweilagige Struktur die Formen nachbildet, die beim Sanddollar durch Sekundärwachstum entstehen.
 
Als Ausgangswerkstoff dienen dünne Furnierstreifen, die zu ebenen, individuell gefertigten und 3-5 mm dicken Sperrholzplatten laminiert wurden. Diese Bauelemente nutzen die Anisotropie des Holzes, um die zunächst ebenen Bauteile elastisch so zu verformen, dass sich, allein durch den Laminataufbau gesteuert, eine spezifische Segmentgeometrie mit ungleichmäßigen Krümmungsradien einstellt. Da im gebogenen Zustand die für das Laminieren erforderlichen Anpressdrücke nur unter Einsatz aufwendiger Formwerkzeuge erreicht werden können, wurde ein robotergesteuerter Fertigungsprozess entwickelt, der die Verbindung, den Formschluss und das Presslaminat der individuell gebogenen Sperrholzplatten durch das Vernähen mit einer Industrienähmaschine ermöglicht.
 

Die zweilagigen Segmente tragen äußere Lasten überwiegend durch Normalkräfte und Scherkräfte in der Plattenebene ab, Zugkräfte werden durch Reepschnüre aufgenommen. Foto: © ICD/ITKE University of Stuttgart
 
Ein Industrieroboter assistierte beim temporären Fixieren der gebogenen Sperrholzstreifen in der gewünschten geometrischen Konfiguration, während des darauffolgenden Nähprozesses führte der Roboter die gebogenen Streifen durch die Nähmaschine und verband diese miteinander. Roboter- und Nähmaschinensteuerung sind über eine spezifische programmierte Software integriert, diese Schnittstelle ermöglicht dem Roboter , sowohl die aktuelle Position des Werkstücks als auch den Status der Nähmaschine zu kennen und die Bewegung zu synchronisieren. Zusätzlich wurden Membranstreifen als Verbindungselemente zwischen den Segmenten aufgenäht, die später beim Aufbau mittels Kevlarschnüren, die Zugkräfte zwischen den einzelnen Segmenten übertragen, verbunden wurden.
 
Der fertige Pavillon besteht insgesamt aus 151 unterschiedlichen, robotisch vorgefertigten Segmenten. Jedes besteht aus drei einzelnen individuell laminierten Furnierstreifen aus Buchenholz. Die gesamte Konstruktion wiegt 780 kg, spannt 9,3m und überdacht eine Fläche von insgesamt 85m². Die neuartigen textilen Verbindungen ermöglichenden Verzicht auf jegliche Art von metallischen Verbindungsmitteln.
 
 
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