Auch mit landwirtschaftlichem Bestand ist zukunftsfähige Architektur möglich. Das beweist der „Hof8“ in einem Dorf im Norden Baden-Württembergs. Das vor dem Abriss stehende bäuerliche Anwesen wurde zu einem Vorzeigeprojekt in Sachen Energieeffizienz und Belebung des ländlichen Raumes. Von Cornelia Kühhas
Die weiße Holzinsel bildet einen Kontrast zum tiefen Blau des Meeres. Foto: antiroomworkshop.altervista.org


Der „Hof8“ in Schäftersheim, einem Ort mit rund 700 Einwohnern im deutschen Baden-Württemberg: Der ehemalige Bauernhof präsentiert sich in neuem Kleid aus Holz, mit Solarpaneelen auf den Dachflächen. Kaum zu glauben, dass dieses Gebäude 40 Jahre lang leer stand und eigentlich abgerissen werden sollte. Martina Klärle, im Ort aufgewachsen und Inhaberin eines Planungsbüros sowie in der Lehre tätig, hat dieses Areal erworben und damit einen der zwei letzten noch zusammenhängenden Höfe des Ortes gerettet.
Der Bauernhof besteht aus einem Gebäudewinkel, der aus Stall, Scheune und Remisengebäude gebildet wird, und einem frei stehenden Wohnhaus. Im Zuge der Sanierung riss man den in jüngster Zeit angebauten Schweinestall ab, der Hof zur Gasse hin wurde geöffnet. „Mit dem Abbruch haben wir das ehemalige Wohnhaus freigestellt und damit auch einen Hof gewonnen, der für alle zugänglich ist“, erklärt Architekt Rolf Klärle.

Projekt zum Nachmachen Bauherrin und Architekt haben sich drei Ziele gesetzt: Einerseits, einen Beitrag zur nachhaltigen Ortsentwicklung zu leisten, insbesondere zur Erhaltung der örtlichen Baukultur. Zum anderen bildet der „Hof8“ ein harmonisches, interdisziplinäres sowie generationenübergreifendes Nutzungskonzept. Hier sind ein Planungsbüro, eine Hebammenpraxis und Seniorenwohnungen untergebracht. „Geboren werden, arbeiten, alt werden“, so das Motto. Über allem steht Nachhaltigkeit. Ziel der Sanierung war das Erreichen des Effizienzhaus-Plus-Standards. „Ich wollte beweisen, dass alte landwirtschaftliche Bauten ­ohne wesentliche Mehrkosten zu einem Plus­energiehof werden können“, so das Ziel von Martina Klärle. Das Projekt musste nachahmbar sein, sowohl was die Qualität der Sanierung als auch die Finanzierung betrifft.



Photovoltaik auf drei Dächern Die alten Mauern wurden außen mit einer 20 bis 30 cm starken Wärmedämmung versehen und mit Holz verkleidet, dreifach verglaste Fenster wurden eingebaut, im Inneren ist das alte Fachwerk sichtbar geblieben. Die Energieversorgung erfolgt zu 100 % aus erneuerbaren Energien. Auf den Dächern der drei Gebäude wurde eine Photovoltaikanlage installiert. Die Dächer sind nach unterschiedlichen Himmelsrichtungen ausgerichtet  – Ost, Süd, West – so kann den ganzen Tag über die Sonnenenergie genutzt werden. Die Anlage mit 500 m2 und rund 80 KWp Leis­tung versorgt alle Nutzgebäude mit Strom. Dieser steht den Mitarbeitern auch an Elektrotankstellen kostenlos zur Verfügung. Überschüsse speichern Batterien im Keller, der Rest geht ins öffentliche Netz. „Wir waren überwältigt von der Energieausbeute“, freut sich Martina Klärle. „Im Sommer haben wir einen Überschuss von 80 bis 90 % Wärme, Strom und Mobilität einbezogen.“ Demnächst wird man im Sommer drei Nachbarhäuser mit Strom mitversorgen. In Zukunft soll die Photovoltaik-Anlage – insbesondere in der Nacht und in nicht sonnigen Zeiten – von Kleinwindkraftanlagen unterstützt werden. Zurzeit werden Messungen durchgeführt. Im September ist der Bau von vier dieser Anlagen geplant. „Drei werden am Dach angebracht, eine vorne an der Straße aufgestellt“, so Martina Klärle. Der „Hof8“ liegt nah am Grundwasser und ist immer wieder von Überflutung bedroht. Dieser Umstand wurde zum Vorteil: Man nutzt das Grundwasser für die Energiegewinnung. Dafür wurde der tiefe Natursteinbrunnen, der in den 1960er-Jahren verschüttet wurde, wieder freigelegt und aktiviert. Er speist die Grundwasserwärmepumpe, mit der die 700 m2 Nutzfläche beheizt werden.



Bau mit möglichst geringem CO2-Anteil Besonders wichtig war der Bauherrin die  Minimierung der „grauen Energie“. Das begann mit dem „Recyceln“ der vorhandenen Materialien und Bauteile. Ziegel, Natursteine und Holzbalken wurden wiederverwendet. Martina Klärle: „Im Zweifelsfall wurde das Geld in die Arbeitszeit und nicht ins Material gesteckt. So sanierte ein örtlicher Handwerker z. B. die alten Innentüren, anstatt neue Türen einzubauen – obwohl dies kosten­günstiger gewesen wäre.“ Bei allen neuen Materialien wurde darauf geachtet, dass sie aus der Region stammen. So kommt auch das Holz der Fassadenverkleidung aus einem nahegelegenen Wald. Für die Ausführungsarbeiten engagierte man ansässige Handwerksbetriebe.
Europäischer Solarpreis, Sonderpreis Nachhaltiges Bauen, Gewinner des Landeswettbewerbs Haus.Häuser.Quartiere: Der „Hof8“ ist ein mehrfach ausgezeichnetes Projekt – nicht nur in Sachen Energieeffizienz, sondern auch in raumplanerischer Hinsicht. Durch den Erhalt, die Sanierung und die Belegung mit unterschiedlichen Nutzungen der Hofanlage wurde versucht, dem Verschwinden von baulichen Strukturen, von wichtigen ortsprägenden und identitätsstiftenden Gebäuden entgegenzuwirken und den Dorfkern neu zu beleben. Der „Hof8“ zeigt, dass sich Bemühungen, den Bestand zu entwickeln, nachhaltig lohnen. Nachmachen erwünscht!

Aus den Jurybewertungen Franziska Trebut meint: „Revitalisierung auf Plusenergiebilanz statt Abriss. (...) Alles ohne  wesentliche Mehrkosten – hoffentlich nicht ,Der vorletzte Hof‘ dieser Art.“
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